TYPEN ZUM HINFINDEN

Walter Zschokke on the "Planobjekte" ["Plan Objects"] (1992–1993)

Walter Zschokke
TYPEN ZUM HINFINDEN
Zur den „Planobjekten“ von Karl-Heinz Klopf

Wir versuchen einem Ortsfremden, der nach dem Weg gefragt hat, zu erklären, wie er dort hin findet, wonach er uns gefragt hat; oder wir erläutern im Verlauf eines Gesprächs einem Bekannten den etwas komplizierten, durch einen Hof führenden Zugang zu unserer neuen Wohnung-, oder wir weisen einen Freund, der nach Paris fliegen wird, auf ein ausgezeichnetes Speiselokal in der Nähe der Place de la Bastille hin; in allen Fällen wird dem anderen erleichtert, den gesuchten Ort zu finden, wenn wir ihm eine einfache Planskizze anfertigen. Gezeichnet wird auf das, was zur Verfügung steht, auf Briefkuverts, Papierservietten, Pappdeckel. Die verwendete Zeichensprache ist leicht verständlich: Gebäudevolumen sind eingerahmt und schraffiert, Bäume werden als Kreise dargestellt, Gehsteigkanten und Straßenbegrenzungen sind mit Linien angegeben. Nahezu jeder, der gefragt hat und sein Ziel erreichen will, wird diese grafischen Abstraktionen verstehen und die Planskizze anzuwenden wissen. Aus der Erinnerung gezeichnet, sind diese Zeichnungen massstabslos. Mögliche Vergleichswerte bilden die Bäume und Straßenbreiten, aber für eingezeichnete Distanzen gibt es keine Gewähr. Man muss auf Merkpunkte achten, auf Gebäudeecken und -vorsprünge, auf Einfahrten und Bäume. Es sind Skizzen zum kurzen Zweck, kleine Gedankenstützen, Selbstversicherungen auch, dass man den Weg richtig erklärt hat.
Karl-Heinz Klopf hat seine Erinnerung an Orte, an Stationen in seinem Leben in der nämlichen Zeichensprache festgehalten. Seine Signaturen sind weiß auf dunkel gemalt, mit strähnigem Pinselstrich über abnehmbarer Folienschablone, sodass die Ränder trotzdem scharf hervortreten. Anders als für die oben genannten Skizzen bildet das Weiß die Figuren, bedeutet hell „Volumen“ und dunkel „Umraum“. Es handelt sich dabei um einen „Negativplan“, das Umkehrbild des im Städtebau gebräuchlichen Schwarzplans.
Es sind die Bäume bezeichnenden Kreisscheiben, die verhindern, dass die Figur-Grundwirkung kippt, dass wir nicht einen von dunklen Gebäuden umstandenen weißen Hof zu erblicken vermeinen, wo das Gebäude weiß und das Umfeld dunkel ist. Auch jene weißen Linien, die Gehsteigkanten angeben oder Parkfeldabgrenzungen markieren, helfen mit, dass wir den knapp beschnittenen Plan überhaupt als Planskizze erkennen.
Diese Piktogramme räumlicher Erinnerung sind auf kunststoffbeschichtete Planen von grün-grau-brauner Farbe gemalt. Restpastenfarbe, wie mir der Künstler erläuterte. Die Herstellerfirma mischt zum Jahresende alle Farbreste zusammen und erzeugt mit diesem Produkt eine entsprechende Menge Planen, die für Lastwagenverdecke, Zelte usw. Verwendung finden. Ein vernünftiges, sparsames und zweckmäßiges Verfahren. Was dabei herauskommt ist eine Art Tarnfarbe, die, weil sie alle Farben enthält, überall dazugehören könnte: unauffällig, beiläufig, gleichgültig. Ein ideales Trägermaterial, dieses Grün-Grau-Braun; in seiner Beliebigkeit ist es den Briefkuverts, den Servietten und Pappdeckeln vergleichbar. Das Material der Plane stellt für sich betrachtet keinen besonderen Wert dar; es ist ihre gediegene Durchschnittlichkeit, die in einer Zeit extremer Zeichendichten und -intensitäten einen eigenen Wert erlangt.
Das gewohnte Charakterbild derartiger Planen wird aber infolge einer weiteren Maßnahme verlassen. Sie liegen nicht lappig herum mit aufgewellten Rändern, sondern sind über kräftige Rahmen gespannt, sodass sich die Signaturen um die Kanten herumziehen. Wie flache Pakete befinden sich die nun zu Objekten gewordenen Planskizzen zu unseren Füßen, fast wie Spielbretter, die mit Figuren besetzt werden könnten. Aber die Verwendung der Planskizzen als „Verpakkungsmaterial“ schiebt sie nun aus dem Fokus der Wahrnehmung heraus zum Rand, lässt sie ein weiteres Mal beiläufig werden. Diese Beiläufigkeit erleichtert entscheidend den lateralen Zugang und das freie Schweifen der Gedanken.
Die flachen Pakete liegen locker geordnet beisammen, jedes ist zu einem Körper, zu „Volumen“ geworden, der Atelierboden dazwischen, aufgeteilt in Gassen und kleine Plätze, wird zu „Hohlraum“. Auf diese Weise bilden die versammelten Orte der Erinnerung einen imaginären Stadtteil; jede raumzeitliche Station ist zu einem Paket gebunden, in dieser Umgebung wird sie zu einem Gebäudeblock in der Stadt der Erinnerung, die Planskizze an der Oberfläche dient, gleich einem Schlagwort auf der Karteikarte, als Hinweis, um im Gedankenflug zum Inhalt hinzufinden.
Für Karl-Heinz Klopf, der – im Gegensatz zu den meisten Betrachtern – die Wirklichkeit hinter den Signaturen kennt und erlebt hat, besteht eine exakte chronologische Ordnung der Orte. Sie korrespondiert mit dem Verlauf seines bisherigen Weges, den Fixpunkten zwischen den Reisen seiner Wanderschaft. Dem unvorbereiteten Betrachter dagegen öffnet die typisierte Darstellung einen Zugang zur eigenen Biographie.
Es sind nicht die zu Signaturen geronnenen Wahrzeichen der Hauptstädte, die als Postkartenbilder eindeutige Zuordnung erlauben würden (und die in anderen Arbeiten von Karl-Heinz Klopf mit weißem Papier kaschiert sind, sodass sie gerade noch knapp erkennbar sind). Vielmehr erstarren die Ausschnitte aus städtischen Wohnquartieren wegen ihrer Alltäglichkeit zu Typen, die auf zahlreiche ähnliche Orte in zahlreichen Städten und zum Teil auch auf Dörfern hinweisen können: der Vierkanter auf flacher Hügelkuppe, das Siedlungshaus im Erweiterungsgebiet der sechziger Jahre, das Eckhaus im gründerzeitlichen Rasterviertel, der Schulbau aus den fünfziger Jahren, der ehemals als Fabrikationsraum genutzte Hoftrakt in einem dicht verbauten Vorstadtbezirk. Es ist nicht die Individualität der Biographien, die hier evoziert wird, sondern deren Verwandtschaft. Die scheinbare Einzigartigkeit des in der Kleinfamilie aufgewachsenen jungen Menschen wird relativiert von der Unschärfe typisierter Darstellung. In der Regel erkennt jeder Betrachter darin einen anderen Ort, aber im Gefühl scheinbaren Wiedererkennens nähern sich die Subjekte an und entdecken im anderen das Gleiche. Umgekehrt erlaubt die Unschärfe der Typen jedem Betrachter die Beschäftigung mit sich selbst und somit die Reflexion seiner Eigen-Art.
Es ist offenbar das Unpräzise, das uns zu tieferem Nachdenken anregt. Derartige Lagepläne, das ist unsere Erfahrung, stehen für einen Ort. Und die gezielte Beiläufigkeit ihrer Darstellung bildet den Humus für das Spezifische, das in unseren Köpfen entstehen kann, wenn wir diese Arbeiten länger betrachten.

 

Erschienen in: Karl-Heinz Klopf – Planen. Secession, Wien, 1993.

Walter Zschokke
TYPES TO FIND ONE’S WAY
Walter Zschokke on „Planobjekte“ [„Plan Objects“]

We are trying to explain to a foreigner who has asked the way how he can get to where he wants to or we are explaining to an acquaintance the somewhat complicated way to our new apartment which can be reached through a courtyard or we are recommending an excellent restaurant near Place de la Bastille to a friend who’s flying to Paris. In all those cases the person will be able to find the place he/she is looking for more easily if we draw a simply plan. You usually draw on what is at hand – on envelopes, paper napkins, cardboard. This sign language is easy to understand: outlines of buildings are framed and hatched, circles stand for trees, lines symbolize the edges of sidewalks and roadsides. Nearly everybody who asked and who wants to reach his destination will be able to understand these graphic abstractions and know how to use this sketch. Drawn from memory these drawings are not true scale. The trees and the width of roads give an approximate scale, but the distances are not guaranteed. You must pay attention to corners and protections of buildings, to entries and trees. They are sketches that needn’t last long, little aid-memories, they also help to assure ourself that you have described the way correctly.
Karl-Heinz Klopf has recorded his memory of places, of phases of his life in that sign language. His signs are mostly painted in white on dark fond, with visible brushstrokes on removeable stencils, nevertheless the contours stand out sharply. Contrary to above mentioned sketches, white forms the figures, light means „volume“ whereas dark stands for „surroundings“. It is the negative of a normal plan, the reversal of a black plan which is used in city planning.
The discs that stand for the trees prevent us from seeing a white courtyard surrounded by dark buildings. Also these white lines that mark the edges of sidewalks and parking lots help us to recognize that it is a sketch of a plan.
These pictograms of spatial memory are painted on plastic-coated tarpaulin which is of greenish-greyish-brown colour. This colour is made from leftover of paints. The manufacturer mixes all the left-over-paints at the end of the year and from that they produce an amount of tarpaulin which is used for hoods, tents, etc…—a reasonable, economic and useful procedure. The colour of the product is a kind of camouflage paint, because it contains all kinds of colours that could go with anything: unobtrusive, casual, indifferent. This greenish-greyish-brown is an ideal basis; because it is so arbitrary it can be compared with envelopes, napkins and cardboard. The material of tarpaulin is not valuable in itself; it is its genuine averageness that in a time that is extremely filled with signs gains value.
The usual feature of those tarpaulins is, however, left behind through further measures. They don’t lie around limpy with wavy edges, but they are stretched over strong frames so that the signs also run over the edges. Thus the plans have become objects and are lying in front of our feet like flat parcels – almost like game boards which could be filled with counters. But as the plans are used as a „wrapping material“, they are shifted out of the focus of perception to the edge and they become casual again. This casualness makes the lateral approach and roaming of one’s thoughts definitely easier.
The flat parcels are lying together in loose order, each has become a body, a „volume“, the floor of the studio in between split up into lanes and small squares becomes a „hollow space“. Thus the gathered places of memory form an imaginary district of a town; each spatial/temporal phase is tied to a parcel, which becomes a block of a building in the city of remembrance, in these surroundings. The sketch on the surface serves like a head word on an index card as a clue to find the contents in a flight of thought.
For Karl-Heinz Klopf, who—contrary to most observers—knows and has experienced the reality behind the signs, there is an exact chronological order of the places. This order corresponds with the course of his way up to now and with the fixed points between his travels. For the unprepared observer, however, the typified presentation offers an approach to his/her own biography.
These are not the landmarks of capitals that have become signs that are known from picture postcards (in other works by Karl-Heinz Klopf they are concealed with slightly transparent white paper so that they are hardly recognizable). What is more the sections of urban residential areas freeze into types because of their casualness which can point to numerous similar places in numerous cities and villages: the square farmhouse on top of a flat hill, the development house of the 60’s, the corner house of the late 19th century, the school building of the 50’s, etc… It is not the individuality of biographes that is evoked, but their relationship. The apparent singularity of the young man who has grown up in the nuclear family is modified by the obscurity of the typified pictorial representation. Usually every observer recognizes a different place, but through the common feeling of apparent recognition the subjects approach one another and discover the same in other. On the other hand the obscurity of the types allows every observer to occupy him/herself with himself and thus to reflect upon his singularity.
Obviously it is the unprecise that makes us think more deeply. Such site plans—that’s our experience—stand for a place and the intentional casualness of its pictorial representation form the humus, for the specific which can be created in our heads if we look at these works for a longer time.

 

Published in „Karl-Heinz Klopf – Planen“, Wiener Secession, 1993
Translation from German by Eva Weixlbaumer